Final nach zwei Wochen ohne ein Lebenszeichen von mir, hier nun meine Eindrücke und Erlebnisse von einem der eindrucksvollsten Plätze der Welt.

Ich möchte hier nun bewusst keine Tagebuchaufzählungen der Minuten, Lagerplätze, Etappen usw. aufzählen. Vielmehr möchte ich meine Gefühle, Eindrücke und Gedanken zum Bergsteigen am höchsten Berg der Welt vermitteln.

Alles was die Presse bis jetzt kundgetan hat, soll Angst, Schrecken und das Schlechteste am Höhenbergsteigen darstellen, fast ein bisschen bedrückend ähnlich der Weltpresse oder unserer österreichischen Presse. Scheinbar verkaufen sich Angst- und Schreckensbotschaften besser. Niemand aus Presse und Medien hat sich für uns oder meine Expedition interessiert, Everest ist ausgelutscht langweilig und am Normalweg unsensationell, möchte man meinen. 16 Tote in einer Saison ändern das Interesse schlagartig, und ein Bild mit vielen Menschen am Gipfeltag erregt unglaubliches Aufsehen. Alle wissen dann sofort alles besser, und die klugen super Bergsteiger die selbst gar nicht am Berg waren, sind dann plötzlich unglaublich schlau.

OK, ok ich will nicht noch mehr motzen, es ist nur so, dass all das Geschehen am Everest absolut nichts Neues ist, und meine Eindrücke zum Teil komplett anders sind, als sie nun in der Presse dargestellt werden.

Für mich war es schon vor dieser Expedition klar, dass ich am Everest nicht alleine sein werde. Überraschung, Überraschung für alle die das glauben…. Warum auch, wir sind in den Alpen nichts anderes gewohnt, Menschenschlangen, überfüllte Hütten, Menschen die weder die Qualifikation noch die körperliche Voraussetzung haben um auf solche Berge zu gehen. Mehr als 16 Tote pro Saison sind am Mont Blanc ganz normal, niemand regt sich auf, dasselbe gilt für Großglockner, Matterhorn, Eiger, Ortler, Elbrus , Aconcagua….. all diese Berge sind Anziehungspunkte für 1000ende Bergsteiger. Es spielen sich Dramen ab und Menschen sterben, es sind viel zu viele Menschen unterwegs, es hat zum Teil nichts mehr mit Natur und Freiheit zu tun, es ist nur ein Wettlauf. Kleinste Fehler können fatal enden, und ja, ein Fehler am Everest ist mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich.

Für mich war es ein Job wie jeder andere, und es war ein ausgesprochen schöner Job.

Aber warum sind diesem Jahr wirklich so viele Menschen am Berg gestorben? Die endgültige Weisheit dazu habe ich leider nicht und will ich auch nicht in Anspruch nehmen, das Folgende sind nur einige Gedanken wie Dinge am Berg ablaufen könnten, wie Dinge am Berg abgelaufen sind und wie Dinge eventuell zum Teil verbessert werden könnten…

Stephan Keck am Gipfel des Mount Everest

Blick vom Gipfel Richtung Tibet

Akklimatisation

Wir konnten am 02.05.19 als einzige Gruppe den Gipfel des Pumori (7.161 m) erreichen. Technisch anspruchsvolle und extrem schöne Kletterei. Wir haben alle fixen Seile selber verlegt, die Lagerketten aufgebaut, und konnten nach fast 3 Wochen harter Arbeit, bei herrlichem Wetter den Gipfel erreichen. Viele fragen sich nun, warum Pumori wenn man am Ende zum Everest will.

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist es ein wunderschöner Berg, den wir für uns Alleine hatten. Indem wir die Akklimatisation am Pumori gemacht haben, konnten wir mehrere Aufstiege durch den doch objektiv sehr gefährlichen Khumbu-Eisbruch vermeiden. Wir konnten damit vermeiden, mehrmals mit hunderten anderen Bergsteigern und Sherpas im objektiv gefährlichsten Aufstiegsbereich am Everest stundenlang im Stau zu stehen. Was zusätzlich offensichtlich ist, Bergsteiger die es schaffen den technisch wesentlich schwierigen Pumori mit 7.161 m ohne Sauerstoff zu besteigen, werden den Everest technisch problemlos besteigen können. Das heißt wir wissen schon im Vorfeld, dass all unsere Kunden wirklich in der Lage sind Berge zu besteigen und klettern können. In diesem Sinne ein erster kleiner Schritt zur Risikooptimierung für die Everest-Besteigung.

Andere Anbieter haben Gäste die vom Basislager ins Lager 1 am Everest 15 Std. brauchen. Ich konnte persönlich eine sehr liebe, ca. 50 Jahre alte Dame aus Indien kennen lernen, wir hatten ein gemeinsames Mittagessen und sie hat mir ganz stolz erklärt, dass sie bereits am Everest war. Sie können stundenlang gehen und braucht die besagten 15 Std. bis Lager 1. Zum Vergleich, ein Sherpa braucht dafür 2 Std., ich ca. 3 Std. unsere Gäste maximal 4 Std. Die Dame ist nun tot und liegt am Balkon auf ca. 8.400 m.

Stephan Keck im Lager III

Wetter

Mit HIMEX und Russel Brice hatte ich die Möglichkeit, höchste Professionalität bei der Auslegung eines Wetterberichtes kennen zu lernen. Russ hat bis jetzt mehr als 40 Expeditionen zum Everest geleitet, jedes kleinste Windzeichen, Veränderungen am Berg, Tal- und Höhenwinde wurden von ihm analysiert und Veränderungen ständig dokumentiert und ausgewertet. Russ und IMG arbeiten seit Jahrzehnten in diesem extrem sensiblen Bereich engstens zusammen. Tägliche Wetter-Meetings und täglich Abstimmung im eigenen Bergführerteam bestimmen die Vorgangsweise am Berg maßgeblich. Täglich werden bis zu 10 internationale Wetterkarten und Wetterberichte erfasst und verglichen mit dem tatsächlichen Wetter vor Ort. Nach all diesen Analysen wird dann die Taktik am Berg abgestimmt.

Anekdoten zum Wetter am Rande, der Anbieter der in sozialen Medien und auf seiner eigenen Plattform angibt, dass er für das Summit-Fix-Seil zuständig ist Garrett M. zum Thema Wetter, original Zitat beim betrachten einer Wetterkarte: „ Wo kann ich da den Everest sehen?“ und einige Minuten später: „Wie kann ich erkennen, aus welcher Richtung da der Wind nun kommt?“

Einheimische Agentur: „Wetterbericht haben wir nicht, wir sind schon 5 mal am 21.05. am Gipfel gewesen, das hat immer gepasst, wird auch dieses Mal passen“

Wir konnten am 21. 22. 23. 24. 25. und 26. bis zu 25 Heli Flüge am Tag aus Lager 2 am Everest zählen. Es wurden verstorbene Körper ausgeflogen, verletzte, erschöpfte Menschen und laut offizieller Angabe zum größten Teil Personen mit Erfrierungen. Erfrierungen auf Grund dessen, dass Menschen nicht in der Lage sind einen Wetterbericht zu lesen.

Was wir nicht wissen und nicht belegen können, was aber wohl ein offenes Geheimnis ist, dass ein ziemlich großer Anteil der Flüge für Taxiflüge aus dem Lager 2 für zahlungswilliger Gäste geleistet wurde. Sehr zum Vorteil der korrupten Agenturen dieser Gäste, welche für jeden vorgetäuschten Rettungsflug Provisionen kassieren. Denn Taxiflüge aus dem Lager 2 sind nicht erlaubt.

In der Lothse Flanke beim Aufstieg ins Lager 4

Taktik am Berg

Neben dem Wetter, der perfekten Akklimatisation und den bergsteigerischen Fähigkeiten der Gäste, wohl der allerwichtigste Punkt für einen „problemlosen“ Gipfelerfolg. Das heißt wiederum, es ist von großem Nutzen zu wissen, wie viele Bergsteiger und Sherpas sich im Basislager befinden. Zusätzlich sind Meetings und Absprachen von Anbietern von Vorteil, um den Ansturm am Berg möglichst aufzuteilen. Die Kombination von Absprachen, das Lesen des Wetterberichtes und das Wissen über die körperliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmer machen es dann möglich, den besten Gipfeltag für die eigene Gruppe zu wählen.

Staus wie wir sie nun von Fotos vom 21. und 22.05. kennen, entstehen, wenn Anbieter aus verschiedensten Gründen einfach drauflos gehen. Wir haben bewusst den für uns wettertechnisch letztmöglichen Tag ausgewählt um all den Chaoten aus dem Wege zu gehen, und so wenig Menschen wie möglich am Gipfeltag zu haben. Zusätzlich gibt es Regeln und fixe Abläufe am Gipfeltag. Wir sind am 23.05. als allerletzte Gruppe am Südsattel 7900m gestartet. Wir haben dann das Lager 4 um 01:00 verlassen. Jeder Teilnehmer hat 3 Flaschen Sauerstoff mit 200 bar zur Verfügung. Eingestellt auf 4 lt. Flow reicht eine Flasche 4 Std. Es ist also ein einfaches Rechenbeispiel. 12 Std. Zeit Gipfel hin und retour. Aufgeteilt auf drei Sicherheits-Stopps, 1. Falsche bis Balkon max. 2 Std. ist doppelte Sicherheit, 2. Flasche bis Südgipfel max. 2 Std. wieder doppelte Sicherheit, 3 Flasche Gipfel. An den Sicherheitsstopps werden die jeweils für den Teilabschnitt verbrauchten Flaschen deponiert, und am retour Weg wieder mitgenommen und bei Bedarf die Reserven im Abstieg verbraucht. Klare Regeln höchste Sicherheit! Wir konnten mit unseren Teilnehmern den Gipfel in knapp unter 6 Std. erreichen, und waren nach 10 Std. alle wieder retour im Lager 4. Im Aufstieg absolut kein Stau, im Abstieg Gegenverkehr, aber auf Grund von mehr als genug Sauerstoff und Zeitreserven absolut kein Problem. Wir konnten das Lager 4 vor dem uns schon bekannten Wetterumschwung um 12:00 erreichen und zum Teil am selben Tag bis ins Lager 2 absteigen. Nur alleine an diesem Tag sind nach uns 4 Menschen am Everest gestorben.

Für uns hat es auf Grund von Regeln, Taktik, Wetterkenntnis und Führung sowie Überwachung von Russ aus dem BC wieder funktioniert, dass alle Gipfelaspiranten ohne größere Staus am Gipfel waren und vor allem, dass alle inkl. Sherpas, verletzungsfrei und ohne Erfrierungen retour kommen konnten.

Das waren wir am Everest, wie gesagt kein Anspruch auf „Supergscheit“, aber es hat nun für Russ und uns über 40 Mal so funktioniert.

Ein vollkommen überladener Sherpa transportiert die Sauerstoffflaschen nach unten

Regeln?

Die ganzen Diskussionen über Geldkunden, Regeln, Sperren des Berges und Verbieten von Sauerstoff kann ich nicht echt nachvollziehen, wenn Menschen da hingehen wollen um zu sterben, soll es aus meiner Sicht eines Jeden eine freie Entscheidung bleiben. Mann kann zu 7 Summit gehen und 25.000 US Dollar bezahlen, was man dann eventuell wissen soll, dass alleine diese Agentur in diesem Jahr mehr als 15 Bergsteiger und Sherpas im Himalaya verloren hat. Mann kann mehr Geld ausgeben und versuchen die richtige Agentur zu finden um mehr Sicherheit, Support und Know-How am Berg zu bekommen, es ist immer eine Frage des Wertes des eigenen Lebens…

Allgemeine Regeln und Verbote für Gäste am Berg halte ich für absoluten Bullshit, Berge sind einer der letzten freien Spielräume für Menschen. Ausnahmeregelungen auf bestimmten Routen und strikte Regeln für Veranstalter hingegen könnten unter Umständen Sinn machen.

Was eventuell hilfreich wäre zu überlegen, ob es nicht Sinn machen würde als Vorgabe nur Menschen mit mindestens einer anderen 8000er Besteigung zum Everest Normalweg zu lassen. Oder man könnte Veranstalter mit Toten prüfen sowie die Umfallhergänge prüfen. Veranstalter die Menschen welche 15 Std. von BC bis Lager 1 brauchen, zum Gipfel mitnehmen, arbeiten grob fahrlässig und gehören als Veranstalter am Everest ausgeschlossen. Veranstalter die in einer Saison mehr als 15 Tote auf verschieden Expeditionen haben, gehören geprüft und gesperrt….

Das wären nicht sehr grobe Einschränkungen und damit könnte man eventuell schon den ein oder anderen Toten vermeiden. But what ever, wir werden das System wohl nicht verändern.

Blick vom Gipfel Richtung Aufstieg und Südgipfel

Sauerstoff

Thema Sauerstoff, für mich war es der erste Berg und die erste Expedition ever mit Sauerstoff. Es macht durchaus Sinn wenn man die Regeln befolgt. Was mich am meisten fasziniert hat ist die bessere Durchblutung und das Wärmegefühl, sobald man die Maske aufhat. Ich hatte nie das Gefühl von Kälte und bin mehr oder weniger den gesamten Weg vom Gipfel bis ins Lager 4 retour ohne Handschuhe gegangen. Was zusätzlich faszinierend ist, ist die Möglichkeit der Geschwindigkeit am Berg. Mit 4 Lt. Sauerstoff am Everest, war es für mich persönlich wesentlich einfach als die Besteigung des Pumori. Schlechter Beigeschmack, es muss bewusst sein, dass wenn ein Fehler passiert und man auf 8800m plötzlich von 4 Lt. auf null Sauerstoff gehen muss, die Wahrscheinlichkeit, dass man daran stirbt extrem hoch ist.

„Ich bin nun zurück gekommen mit wunderschönen Gipfelerfolgen am Pumori und Everest.“

STEPHAN KECK

Lager 4: Ein toter bulgarischer Bergsteiger liegt neben dem Fixseil

Ich bin mit dem Gedanken hingegangen, dass es viele Menschen am Berg geben wird, ich bin mit dem Gedanken hin gegangen, dass ich Tote aus den vergangenen Jahren sehen werde. Ich bin mit dem Gedanken hingegangen, dass wir Müll am Berg sehen werden, und ich bin mit dem Gedanken hingegangen, dass das Basislager eine kleine Stadt ist.

Ich habe keinen einzigen Toten aus den vergangenen Jahren gesehen, ich habe leider sehr wohl 3 Toten aus diesem Jahr, und zum Teil von einem Tag vor unserer Besteigung gesehen. Wir sind in der Lhotse Flanke am Lager 4 direkt an einem toten Bulgaren vorbei gegangen, sein Körper lag unmittelbar neben dem Fixseil, sein Bauch unbekleidet, sein Gesicht mit Bekleidung verdeckt, eine weitere Tote direkt im Fixseil am weg von Lager 4 zum Balkon, eine indische Frau ohne Handschuhe, man konnte an den Händen erkennen, dass es ein Frau war, Kopfüber im Fixseil, jeder musste direkt über sie drübersteigen, ein toter Amerikaner an dem Platz wo einmal der Hillary Step war, auch direkt im Fixseil, und jeder der dieses Jahr am Gipfel war, ist auch da drübergestiegen. Mag unmenschlich klingen und ist es aus meiner Sicht im ersten Moment auch, doch selbst wenn wir in unserer Gruppe die Toten nach unten gebracht hätten, hätten wir damit kein Leben mehr gerettet. Unmenschlich ist für mich die Vorgansweise der dafür verantwortlichen Agenturen und Team-Mitglieder, wie kann man Menschen mit denen man wochenlang gemeinsam unterwegs ist, einfach liegen lassen und weiter zum Gipfel gehen? Dieser Gedanke war für mich mehr schockierend als die Tatsache, dass Menschen an diesem Berg sterben, das ist offensichtlich und seit Jahrzehnten bekannt. Ich war mir dem in einer gewissen Weise bewusst, bin mir aber sicher, dass mir diese Bilder wieder sehr lange nicht aus dem Kopf gehen werden bzw. für immer bleiben werden. Das ist ein Teil dieses Jobs und wenn ich damit nicht leben kann, darf ich da wohl nicht mehr hingehen.

Wir waren am Pumori ganz alleine und hatten am Everest so gut wie keinen Stau, auch das hat mich eher positiv als negativ überrascht, der Weg zum Gipfel war wunderschön und ich konnte sowohl die Aussicht als auch das Bergsteigen an und für sich sehr genießen.

Was den Müll am Berg betrifft, kann ich auch nur von meiner Sicht und unserem BC reden. Wir haben das BC absolut Müll frei verlassen, wir konnten sowohl im Lager 1 als auch im Lager 2 und 3 Müll aus den vergangenen Jahren sehen. Im Lager 2 bedingt durch Lawinen aus vergangen Jahren, im Lager 1 Aufgrund von Sturm und Unachtsamkeit. Alles in Allem war aber auch diese Situation wesentlich besser als meine Vorstellung. Einzig im Lager 4 schaut es katastrophal aus, aufgrund dessen, dass dieses Jahr absolut kein Schnee im Südsattel war, lag all der Müll der letzten Jahrzehnte frei. Aber man muss fairerweise sagen, auch von da wurden alleine in dieser Saison 10.000 Kg Müll abtransportiert, und es schaut danach aus, dass sich die Situation in den nächsten Jahren wohl noch verbessern wird.

Für mich war es sowohl moralisch als auch bergsteigerisch wieder ein wunderschönes Erlebnis, und ich werde wieder kommen zum höchsten Berg der Welt. Das Leben ist gut in den Bergen. Und ich bin dankbar, dass es möglich ist diese Art von Bergsteigen so frei und uneingeschränkt wie möglich erleben zu dürfen.

Bis bald aus Indien ….. Stephan