Zurück in Tirol: Gescheitert, aber glücklich

Wir sind aus Nepal zurück. Zwar konnten Hans Kammerlander, das Kamerateam und ich den Gipfel des 8.163 Meter hohen Manaslu nicht erreichen, haben Nepal vor einigen Tagen aber dennoch glücklichen Herzens verlassen und freuen uns bereits jetzt auf eine baldige Rückkehr dorthin. Wohin es dann gehen wird ist zweitrangig. Uns geht es um die herzlichen Begegnungen und um die Menschen dort, die uns immer mit offenen Armen empfangen.

Dass wir den Gipfelerfolg am Manaslu nun nicht in unsere Tagebücher eintragen können, hatte durchaus plausible Gründe. Zumindest für Hans und mich, schließlich waren wir während der gesamten Zeit am Berg, in Auf- und Abstieg immer einer Meinung. Oft genügte ein Blick, ein Nicken oder Kopfschütteln und wir waren uns einig, was zu tun sei. Zu eindeutig war die Gefahrenlage, war vor unserer Ankunft doch Schnee in rauen Mengen gefallen und hatte uns schlussendlich einen Strich durch unsere Gipfelrechnung gemacht. Immer wieder blies der Wind unsere frischen Spuren – für die wir gerade noch im Aufstieg stundenlang gekämpft hatten – zu, waren dabei bis zu den Hüften und hinauf ins Lager 3 (6.800 Meter) sogar bis zu den Achseln im Schnee versunken. Unter solch widrigen Bedingungen erscheint ein Unterfangen wie die Besteigung eines Achttausenders schon nach wenigen Tagen sinnlos.

Hans Kammerlander und Stephan Keck vor der Kamera. (Foto:Hartmann Seeber)

Stephan Keck kämpft mit den Schneemassen. (Foto: Robert Neumeyer)

Wir wussten vorab, dass wir womöglich einige Wochen zu spät dran waren, zu lange nach der offiziellen Saison. Zwar alleine im Basislager und im Aufstieg, ohne andere Expeditionsgruppen, die schon aufgrund der schieren Anzahl an Menschen lange Schlangen an den entscheidenden Passagen im Berg verursachen würden, jedoch auch dem Risiko des herannahenden Winters mit all seinem tückischen Schneefall ausgesetzt. Und dennoch waren es genau diese Aspekte, die wir für uns als Bergsteiger sowie für den Film gesucht und gewünscht hatten. Was für eine Rückkehr wäre es für Hans auch gewesen, wenn er nach 26 Jahren in ein überfülltes Basislager zurückgekommen wäre? Dorthin, wo er einst seine beiden Freunde Friedl Mutschlechner und Karl Großrubatscher verloren hatte. Wie sollte er so seinen Weg zu Ende gehen, seinen Frieden mit den schrecklichen Ereignissen von damals machen und zukünftig all seine Energie wieder für neue Projekte bündeln können?

Spätestens seit dieser Expedition verbindet Hans und mich zudem eine Freundschaft, die über eine bloße Seilpartnerschaft hinausgeht. Unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit während der gesamten Expedition war einerseits lehrreich für mich, anderseits bestätigte sie mich auch in meinem Tun. Ich entdeckte zahlreiche Parallelen zwischen uns, Eigenschaften die vermutlich den meisten Extrembergsteigern innewohnen: Die Ruhe, mit der man solche Projekte von Grund auf angeht. Die gewonnenen Erfahrungen, die in Gefahrenlagen unerlässlich sind, um Entscheidungen so klar und gleichermaßen ruhig treffen zu können, wie wir unseren Abbruch am Manaslu beschlossen haben. Und nicht zuletzt auch die Zufriedenheit mit dem, was man hat – auch wenn das nicht immer der Gipfel sein kann.

Spuren im meterhohen Schnee. (Foto: Hans Kammerlander)

Nun mag es in unserer heutigen Gesellschaft für den einen oder anderen womöglich nicht leistungsorientiert genug klingen, dass wir nicht mehr gewagt und die Besteigung nicht doch bis zum Ende forciert haben. Denjenigen möchte ich an dieser Stelle jedoch entgegenhalten, dass wir auch ohne den vermeintlich größten Erfolg, auf dem Gipfel zu stehen, eine ganze Menge auf der Habenseite zu verbuchen haben. Wir bringen tolle Aufnahmen aus Nepal und vom Manaslu mit – es wird ein bildgewaltiger Film, der im nächsten Herbst zu sehen ist-, unzählige Erfahrungen, neue Freundschaften und nicht zuletzt die Gesundheit aller an dieser großen Expedition Beteiligten. Seien dies Gerald Salmina und sein komplettes Filmteam, seien es sämtliche Sherpa, die uns unterstützt haben, oder zuletzt auch Hans und ich selbst.

Der Aufwand, eine solch umfangreiche Filmexpedition zu organisieren, hat mich lange auf Trab gehalten und besonders in der heißen Phase vor Ort auch ins Schwitzen gebracht. Vor allem in den Amtsstuben Kathmandus, wo sich unsere Bemühungen um Drehgenehmigungen, Hubschraubereinsätze und sonstige Permits für die gesamte Crew drehten, waren Geduld und Kreativität gefragt. Missen möchte ich diese Erfahrung auf keinen Fall, hat mein ganzes Team diese Herausforderung doch mit Bravour gemeistert.

Ohne Zweifel wären Aufnahmen vom Gipfel hingegen das höchste der Gefühle für unseren Regisseur Gerald Salmina gewesen, jedoch war auch er nicht im Ansatz enttäuscht, dass es nicht dazu kam. Allzu großes Risiko wollte auch er nicht um jeden Preis eingehen und einen interessanten Spannungsbogen bietet diese unvollendete Manaslu-Expedition für die Handlung allemal, schließlich dreht sich der Film um Hans Kammerlanders Leben, das sich zwar sehr häufig, aber eben nicht immer ganz oben und auf den Gipfeln dieser Welt abgespielt hat.

Genau darum sollte es häufig auch in den ausführlichen Gesprächen in unserem Zelt gehen. Oft sprachen wir über Hans´ Vergangenheit, seine Erfolge, die er auf den Bergriesen erlebt hat, aber auch über Schicksalsschläge wie jenen vor 26 Jahren just an diesem Ort. Hans lebhafte Erinnerungen an die beiden damals so tragisch verlorenen Freunde und seine freudigen Erzählungen von ihnen zeigen mir aber, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat, nun doch noch einmal zum Manaslu zurückzukehren.

Er ist diesen Weg für sich – und nur für sich – zu Ende gegangen und ich bin sehr froh und dankbar, ihn ein Stück weit auf diesem Weg begleitet haben zu dürfen. Genau wie über unsere Entscheidung, nun rechtzeitig umgekehrt zu sein.

Stephan Keck im Aufsteig mit einem Sherpa. (Foto: Hans Kammerlander)

„Die partnerschaftliche, ja freundschaftliche Zusammenarbeit mit Hans war überaus lehrreich für mich, anderseits aber auch eine Art Bestätigung meines eigenen Tuns“

STEPHAN KECK